2021 Forelle [chamanch] – Vergessene Gärten

Der Koch als Winzer. Mike Näher ist unentwegt auf der Suche nach dem authentischen Geschmack, in seiner Küche wie im Keller.   

Der Mann scheint unendliche Energie zu haben. Die Suche nach dem Echten treibt ihn an und um. Mike Näher ist Gastwirt und Koch unweit von St. Pölten. Gelernt hat er bei Größen wie Marc Veyrat, der als erster in Frankreich mit 20 Gault&Millau Punkten ausgezeichnet wurde. Nährers Fans kommen aus der Region und auch von weit her, um bei ihm zu essen und zu trinken. Vor rund einem Jahr hat er am Nachbargrundstück des Stammwirtshauses einen markanten Neubau hingestellt, wo der Blick vom Teller durch große Glasfronten in die Landschaft frei wird. Der Gastraum mit Greisslerei öffnet sich ins Traisental, einer (leider) immer noch zu wenig beachteten Weinregion. „Früher gab es in Rassing fünf Heurige, heute keinen einzigen mehr. In der Umgebung rund um meinen Gasthof, habe ich deshalb immer wieder Weingärten entdeckt, die verlassen waren“, so Nährer.

Weil er den Geschmack seiner Heimat sucht, hat er vor fünf Jahren begonnen, sich um nicht mehr bewirtschaftete Parzellen – die vergessenen Gärten – zu kümmern. Manche von ihnen scheinen in ihrer Kleinheit nicht einmal im Rebkataster auf. Wahrscheinlich deshalb, weil sie ein kleines Mosaikstück der landwirtschaftlichen Betriebe waren. Heute sind sie meist zu wenig rentabel für die junge Generation. Wertvolle Unterstützung für sein Weinprojekt fand er von Anfang an in Winzer Tom Dockner und Jürgen Leitameyer dem Produktionsleiter des Weinguts Jurtschitsch.

2019 kelterte Nährer seine ersten Weine. Benannt werden sie nach frühneuhochdeutschen Begriffen mit kulinarischem Bezug. Im ersten Jahrgang starteten die Namen mit A, 2020 mit B. 2021 ist der Buchstabe C dran. Ich konnte [chamanch] Forelle kosten. Er leuchtet in einem feinen goldgelb und duftet unglaublich facettenreich und anregend. Saftige Williams Birne, Bratapfel, reife gelbe Pfirsiche, etwas Mango und Kardamom. All das lässt einem schon das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der Gaumen startet mit der fruchtigen Saftigkeit, die schon der Duft verspricht, begleitet von einem feinen, perfekt eingebauten Grip. Dazu kommt stattliche kristalline Würze und enorme Länge. Säure und Tannin ergänzen sich kongenial.

Weinfans

In seiner Leichtigkeit (12 Volumenprozent) bietet der Wein ein breites Spektrum. Und er trifft den geschmacklichen Nerv vieler Weinfans, auch der Anspruchsvollsten. Freak-Wein ist es keiner, das ist auch gut so. Zum Background: Die Trauben stammen zumeist auch gemischt ausgepflanzten Rebgärten mit teils sehr alten Sorten wie Grauem Portugieser. Die Hauptprotagonisten sind Grüner Veltliner, Frühroter Veltliner und Riesling. Die Trauben werden eingemaischt und ein Großteil davon gepresst, der Most in gebrauchten 500 Liter Fässern mit einem Viertel Maische vergoren und zusammen ein Jahr gereift. „In manchen Fässern bildet sich eine ganz dünne Schicht Florhefe, die lasse ich bewusst. Mir gefällt die zusätzliche Facette im Wein“, so Nährer. Was im Keller sonst noch passiert, ist am besten mit dem Wort Minimalinvasiv umschrieben. Das logische Ergebnis: Individuelles mit dem authentischen Geschmack der Heimat.

@Kalk&Kegel